

Will man im Vertrieb neue Kunden und neue Projekte akquirieren, braucht man – so die weitläufige Überzeugung – das Gen des Jägers. Instinkt, Biss und Kaltschnäuzigkeit sind nötig, um im Wettbewerb mit anderen das nächste Projekt oder den neuen Kunden zu erbeuten. Was aber, wenn man sich gar nicht in der freien Wildbahn befindet, sondern in einem regulierten Markt? Dann sind neben den Stärken des Jägers weitere Eigenschaften erforderlich.
In “der freien Wildbahn” – seinem Markt – ist der Vertriebler permanent auf der Pirsch, liest Fährten und belauert seine potenzielle Beute. Regeln gibt es in der freien Wildbahn wenige – “Survival of the fittest” trifft es am ehesten. In diesem Sinne sticht der gute Vertriebler Wettbewerber aus, indem er Fallen stellt und schneller und entschlossener handelt als andere. Der Jäger bestimmt den Zeitpunkt der Pirsch und entscheidet, wann die Zeit gekommen ist, den Fangschuss zu setzen. Sein Erfolgsrezept besteht darin, die Beute zu entdecken und zu handeln, bevor der Kollege von der Konkurrenz zum Zuge kommen kann. So reiht der erfolgreiche Vertriebler Trophäe an Trophäe. Doch Geduld ist seine Sache nicht – sein Jagdfieber treibt ihn weiter und er ist erst zufrieden, wenn der Trophäenschrank überquillt.
Jedes Unternehmen schätzt sich glücklich, wenn es ein solches Ass in seinen Vertriebsreihen weiß. Man erwartet Großes von Ihm. Warum aber scheitern selbst solche Könner, wenn es um eine bestimmte Art der Beute geht? Warum kehren selbst erfahrene Haudegen von der Jagd zurück wie begossene Pudel? Die Rede ist von institutionellen Projekten. Wir reden von öffentlichen Auftraggebern wie der ESA, der EU oder von Ministerien. Wir reden vom “Hunting in the Zoo”.
“Hunting in the Zoo” – Vertrieb in regulierten Märkten
Sie bewegen sich in einem regulierten Markt? Ihr Umfeld wird mitbestimmt von Programmbudgets öffentlicher Institutionen, von Förderrichtlinien und politischen Rahmenbedingungen? Ihre Auftraggeber sollen ESA, EU oder BMWi heißen? Sollte das der Fall sein, muss Ihre Vertriebsmannschaft die Kunst des “Hunting in the Zoo” beherrschen.
Denn – ja, Sie befinden sich nicht mehr in “freier Wildbahn”, wo Instinkt, Entschlossenheit und Mut den Jagderfolg bestimmen. Sie befinden sich in einem Zoo. Jawohl, richtig gehört – Sie befinden sich im Zoo. Sie haben Eintritt gezahlt, die Verhaltensregeln als Faltblatt mitbekommen und flanieren nun durch die beeindruckende Szenerie von potenziellen Beutestücken. Eines prachtvoller als das andere und für jedes einzelne hätten Sie in freier Wildbahn allein für das Aufspüren Wochen gebraucht. Jetzt steht es vor Ihnen – auf dem Silbertablett.
Ihr Problem ist es also beileibe nicht, die “Beute” – das von Ihnen begehrte Projekt – aufzuspüren. Sie wird Ihnen vom Zoodirektor und seinesgleichen in briefings und Programmenkommissionen detailliert vorgestellt. Sie haben das Privileg – ja die Qual – sie ausgiebig beobachten zu können. Doch Ihre Flinte, die Sie natürlich auch im Zoo bei sich tragen, wird Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt wenig nützen. Denn noch ist die Jagd nicht eröffnet und es gilt einige Probleme zu lösen:
Problem #1: Sie sind nicht allein
Ihr erstes Problem: Sie sind nicht allein. Wie Motten vom Licht wurden Dutzende andere Jäger von den vermeintlich prächtigen Trophäen angezogen und pirschen nun wie Sie angespannt durch die Gehege. Die Regeln des Zoos gebieten es Ihnen, die Konkurrenten keinesfalls durch eine gekonnte Falle aus dem Weg zu räumen, sondern sich beim Flanieren gequält zu grüßen.
Argwöhnisch beobachten Sie kleine Grüppchen, die sich bilden – wohl in der Absicht, die Kräfte zu bündeln und Sie und andere auszustechen. Schnelligkeit und Instinkt helfen Ihnen hier wenig. Wer im Zoo jagt, muss vielmehr das tun, was sich in freier Wildbahn oft verbietet: Allianzen schmieden und Kompromisse eingehen. Er muss politisch denken und handeln.
Problem #2: Ihre Waffen sind (vielleicht) nicht geladen
Bevor der Zoodirektor endlich die ersehnte Jagd freigibt, vergeht Zeit – meist viel mehr, als zunächst angekündigt. Sie werden hungrig, denn darauf waren Sie nicht eingestellt. Nun aber bemerken Sie neben dem bereits knurrenden Magen Ihr Problem Nummer zwei: Ihre Waffen sind nicht geladen. Das heißt – geladen sind sie schon, denn natürlich haben Sie Patronen eingelegt. Leider wird aber genau diese Art der Munition in der Ausschreibung, die jede Jagd begleitet, ausdrücklich untersagt. Warum haben Sie das nicht vorher gewusst? Welchen Sinn hat das und welche Möglichkeiten bleiben Ihnen? Wenn Sie sich umsehen, erblicken Sie weitere Jäger, die resigniert den Lauf sinken lassen, während andere triumphierend voranschreiten. Es wird Ihnen nichts anderes übrig bleiben, als sich mit diesen zu arrangieren und vielleicht noch einen Platz als Treiber in deren Team zu ergattern.
Wer im Zoo jagt, muss Zeit einplanen. Viel Zeit. Und er muss damit rechnen, dass der Wert seiner Waffen durch äußere Einflüsse dezimiert – vielleicht aber auch gestärkt – wird. Nur wer engen Kontakt zu den Programmverantwortlichen hält, wird das abschätzen können. Die Einbeziehung dieses Faktors in die Vertriebsarbeit ist ein zentraler Punkt.
Problem #3: Die Beute ist kleiner, als Sie denken
Ihr drittes – vermutlich gravierendstes – Problem wird oft erst sehr viel später sichtbar. Angesichts der langen Wartezeit haben Sie viel Kraft in das Flanieren im Zoo und schließlich in die Jagd selbst investiert. Ihr Hunger ließ Sie unvorsichtig werden und schließlich haben Sie die Beute zu Konditionen bekommen, die Ihnen langfristig Probleme bereitet. “Zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig” ist der Zustand, der sich in diesem Umfeld oft einstellt. Ihnen bleibt die Wahl, Ihren Bestand mit Erfolgen von außerhalb des Zoos zu subventionieren oder aber in die nächste Runde des Flanierens im Zoo einzusteigen. Natürlich in der Hoffnung, dieses Mal die richtige Munition geladen zu haben und schneller und effektiver zum Erfolg zu kommen.
Anders als in der freien Wildbahn können Sie sich nicht auf die Pirsch nach der nächsten Trophäe vom gleichen Typ begeben – denn so sehr sie den Zoodirektor beknien: Er wird die gleiche Beute nicht noch ein zweites Mal in seinem Zoo anbieten. Auch dann nicht, wenn neben Ihnen noch ein Dutzend weiterer enttäuschter Jäger in das Klagen einstimmt. Das ist leider ein wesentliches Kriterium des “Hunting in the Zoo”.
Die richtige Strategie
Wer sich also dafür entscheidet, das “Hunting in the Zoo” in sein Portfolio zu übernehmen, der ist überaus gut beraten, seine Strategie darauf einstellen:
- das “Hunting in the Zoo” macht dann Sinn, wenn die angepeilten Trophäen auf zentrale Pfade in der Unternehmensstrategie einzahlen. Der Zoo sollte aber nie das einzige Jagdgebiet für diese zentralen Pfade bleiben.
- wer im Zoo jagen will, muss Ausdauer mitbringen. Die Uhren ticken hier anders, als in der freien Wildbahn. Ressourcenplanung und die Erwartungshaltung sind darauf einzustellen.
- wer im Zoo jagt, sollte Diplomat, Jäger und Sammler gleichzeitig sein. Der archetypische Jäger wird es im Zoo schwer haben. Lobbyarbeit bei Mitbewerbern wie auch bei den “Zoodirektoren” ist ein Muß und sollte kontinuierlich betrieben werden.
- wer im Zoo jagt, muss ein effizientes Projektcontrolling installiert haben, um klare “bid/no-bid” Entscheidungen treffen zu können und die oft knapp bemessenen Projektmittel jederzeit im Auge zu haben.
Abschließen sei gesagt, dass – bei allen Risiken – das “Hunting in the Zoo” auch vielfältige Chancen bietet. Wo sonst sind so interessante Projekte mit so großer Strahlkraft zu finden? Mitarbeiter lassen sich so motivieren und Kunden – insbesondere auch die in freier Wildbahn – beeindrucken. Wer es schafft, den Zoo zum Teil seines Vertriebsbiotopes zu machen, wird davon profitieren können. Ist erst einmal genug Erfahrung gesammelt, kann man sich vielleicht an die Königsdisziplin wagen: Überzeugen Sie den Zoodirektor heute davon, morgen eine bestimmte neue Art anzuschaffen .. und bereiten Sie sich vor allen anderen auf deren Jagd vor.
Mehr erfahren: Holger Sdunnus